This file is copyright of Jens Schriver (c) It originates from the Evil House of Cheat More essays can always be found at: --- http://www.CheatHouse.com --- ... and contact can always be made to: Webmaster@cheathouse.com -------------------------------------------------------------- Essay Name : 1299.txt Uploader : Email Address : Language : German Subject : German Essays Title : Literarische Charakteristik der Mutterfigur aus Peter Weiss' "Abschied von den Eltern" Grade : 90% School System : Gymnasium Country : German Author Comments : Teacher Comments : a little too much psychology Date : 9.5.95 Site found at : luck -------------------------------------------------------------- 10. KLASSE A 1. HAUSAUFSATZ AUS DEM DEUTSCHEN ABGABETERMIN AM 9. MAI 1995 -------------------------------------------------------------------------------- Literarische Charakteristik der Mutterfigur aus Peter Weiss' "Abschied von den Eltern" Gliederung: A Einleitung B 1) Äußeres und Auftreten [dominant, selbstsicher] 2) Einstellung a) Selbstbild [kontrolliert, rational] b) Verhalten gegenüber dem Ehemann [loyal, respektvoll] 3) Verhalten gegenüber dem Sohn [stimmt, abweisend, vernachlässigend] C Schluß ------------------------------------------------------------------------------- A Peter Weiss wurde am 8. November in Nowawes bei Berlin geboren. Bis zu seinem Tod am 10. Mai 1982 im Exil in Schweden schrieb er zahlreiche literarisch wertvolle Bücher, in denen er sich fast ausschließlich mit politischen und psychischen Themen, sowie ihren Zusammenhängen, auseinandersetzt . So konfrontiert er zum Beispiel seine Leser in einem seiner bekannteren Bücher "Die Ermittlung" mit dem Auschwitzprozeß. In seiner Erzählung "Abschied von den Eltern" befaßt sich der Autor mit seiner problematischen Kindheit, indem er sein Aufwachsen mit seinen Eltern rekapituliert. So beginnt das Buch auch mit ihrem fast gleichzeitigen Tod, und seiner Feststellung, daß seine Trauer nicht ihnen, sondern der Erkenntnis eines mißglückten Versuchs des Zusammenlebens gegolten hat. In der fortlaufenden Erzählung, die als Teil einer Autobiographie angesehen werden kann, schildert er mit einer konsequenten Sachlichkeit Höhen und Tiefen seiner schmerzhaften Kindheit. Da er sehr stark von seiner Familie und insbesondere von seinen Eltern beeinflußt wurde stellt sich die Frage, was für ein Mensch die Mutter gewesen ist, und welche Wirkung sie auf den Autor gehabt hat. B (1.) Die Mutterfigur wird von dem Autor als "groß und stattlich" beschrieben, während der Vater als "schmal" und "zart gebaut" vorgestellt wird. Parallelen zu dem auffälligerem Erscheinungsbild finden sich auch im Verhalten, spielt sie doch eine dominantere Rolle in der Phase des Wachstums als der Vater. Sie tritt stets sehr selbstsicher und bestimmt auf, was sehr deutlich im täglichen Umgang mit ihrem Sohn wird (S. 56, "du machst sie jetzt, [...] ich dulde keinen Widerspruch"). Ihr Erfolg in ihrem früheren Beruf als Schauspielerin sowie der Glanz und der Ruhm, den diese Arbeit mit sich gebracht haben, sind sicherlich mit ein Grund für ihr selbstbewußtes Auftreten. Ihr Bemühen, stets einen souveränen Eindruck zu vermitteln, ist jedoch nicht immer erfolgreich. So glaubt ihr ihr Sohn nicht so recht, als sie behauptet, die Schauspielerei aufgegeben zu haben, weil ihr diese Lebensweise nicht mehr läge (S. 39, "Ihr gefiel die Theaterwelt nicht mehr, sagte sie, es war ihr dort zu locker, das Leben dort zu provisorisch."), da er festgestellt hat, daß sie genau dieses Leben versucht, in ihrem Zuhause neu aufzubauen (S. 39, "Das Glänzende und Erhöhte schuf sie sich in ihrem Heim"). Im weiteren Handlungsverlauf des Buches ändert sich ihr sicheres Auftreten dramatisch. Auslöser ist der plötzliche Tod ihrer Tochter Margit und die damit verbundene Erschütterung der - aus ihrer Sicht - problemlosen Familie. Fassungslos und geschockt von dem unglaublichen Unglück (S. 78, "In einem Stuhl saß meine Mutter reglos, mit niederhängenden Armen, wie eine Lehmfigur."), das nun über ihre Familie gekommen ist, und noch kommen würde, verschwindet nicht nur ihre Tochter, sondern auch ihre Selbstsicherheit (S. 81, "doch auch ihr [der Eltern] Sterben hatte mit dem Tod meiner Schwester begonnen"). Später ist sie wieder bemüht, Ruhe zu bewahren und ein normales Leben zu führen, was ihr allerdings in keinster Weise überzeugend gelingt. (2.) a) Wahrscheinlich kommt ihr Streben, Selbstsicherheit nach außen hin durchblicken zu lassen nicht von irgendwo, sondern auch vom Inneren, ist sich die Mutter doch keiner Fehler bewußt (S. 82, "Sie [die Eltern] konnten es nie verstehen, daß wir ihnen entglitten."). Dies wird speziell in Bezug auf ihre Erziehungsmethoden deutlich, da sie trotz offensichtlicher psychischer Probleme der Kinder die - ihrer Meinung nach - einzig richtige Linie beibehält. Ebenso wie sie auch ihre Kinder mit der Überzeugung, daß Gefühle und Instinkte nur zweitrangig, legt sie viel Wert auf ihr eigenes äußeres Erscheinungsbild. Vermutlich projizierte die Mutter ihr Idealbild einer "starken" Person auf sich, ohne dabei jemals gemerkt zu haben, daß sie sich nur selbst betrügt (S. 39, "sie [ihre strenge Erziehung] hat mich stark gemacht ") . b) Ihr Mann strahlt genau diese Sicherheit aus, die sie sich schon immer gewünscht hat. Ist er doch der verantwortungsbewußte für den Unterhalt treu sorgende Gatte, der immer das Richtige zu tun scheint. Jedoch will sie gleichzeitig der Gewalt und der Impulsivität entfliehen, wie sie sie durch ihren Vater und ihren ersten Mann kennengelernt hat. So hat sie dann auch einen ruhigen, zurückhaltenden Ehemann gefunden, bei dem sie ihre Rolle als Unterdrückte ablegen konnte. Das Verlangen nach mehr Abwechslung und Abenteuer, wie sie es bereits von der Bühne kannte, dringt zum Vorschein, als sie beim Besuch bei einer befreundeten Familie den Kontakt mit dem Hausherrn sucht. Dieser entspricht ziemlich genau dem Gegensatz ihres Mannes, und so findet die Mutter das, was sie so lange vermißt hat: Vitalität, Kraft und Durchsetzungsvermögen (S. 48, "er war kraftvoll, lebhaft, seine Sprache witzig und drastisch"). Mit der Überzeugung, das Richtige zu tun, bzw. das Falsche unterlassen zu haben, zwingt sie sich, weiterhin in ihre korrekte Welt ohne Makel und Überraschungen, obgleich sie sich woanders wohler fühlen würde (S. 48, "meine Mutter, die in seiner [des Hausherrn] Gegenwart aufblühte"), da eine Trennung für ihre sozialen Normen und Ziele unvorstellbar geworden ist (S. 118, "Meine Eltern hatten sich nur abfällig über ihn geäußert. Er hatte seine Familie verlassen [...]"). Außerdem forderte dies weniger Kraft von der Mutter. In der später durch den Tod Margits ausgelösten Krise zerbricht ihre mühsam aufgebaute Welt mit einem Schlag und somit auch ihre gesamten Überzeugungen und Wünsche. Den einzigen Halt, den ihr völlig verflogenes Selbstwertgefühl noch findet, bietet sich in Form der Person, die als einzige noch ein Indiz für einen möglichen Sinn ihres Lebens darstellt, ihr Mann. Seine sichere und ruhige Fassung ist das Einzige, was ihr noch von ihrer Welt geblieben ist (S. 80, "Meine Mutter stand in dichte schwarze Schleier gehüllt, von meinem Vater und Gottfried gestützt."). (3.) Zu ihrer perfekten Vorstellung gehören natürlich auch Kinder, wie sie jedes normale Ehepaar haben sollten. So ist es für die Mutter zu der damaligen Zeit selbstverständlich gewesen, daß sie die Erziehungsaufgabe der Kinder übernähme. Sie ist allerdings dem Sohn entfremdet, zumal dieser in Auguste, dem Hausmädchen, das gefunden hat, was seine Mutter ihm nie geben konnte. Hat sie diese doch bedenkliche Entwicklung wirklich nicht wahrgenommen oder wollte sie einfach nicht erkennen, daß ihr Versuch, die Erziehung zu übernehmen, ein mißlungener gewesen ist? Der Autor gibt hierzu keine eindeutige Auskunft, jedoch ist ein Zitat der Mutter sehr aufschlußreich: "Du bist mir immer fremd gewesen, ich habe dich nie verstehen können (vgl. S. 85)". Es läßt sich nun vermuten, daß die Mutter - genauso wie in der Beziehung zu ihrem Mann - ziemlich schnell aufgibt und stets den einfacheren Weg sucht, der in diesem Fall die Vernachlässigung des Sohnes bedeutet. Beispielsweise ignoriert sie die Bilder, die ihr Sohn gezeichnet hat, obwohl diese ein eindeutiges Zeugnis einer gestörten Gefühlswelt sind. Später geht sie sogar einen Schritt weiter und nimmt die Gelegenheit eines Umzugs wahr, sich der unpassenden Bilder zu entledigen und versucht damit, ebenso wie das alte Heim die alten Probleme zurückzulassen (S. 138, "Mit dieser Vernichtung hatte sie sich von der Drohung befreit, die diese Bilder auf die Geordnetheit und Behütetheit ihres Heims ausgeübt hatten."). Möglicherweise sah sie in ihrem Sohn keine eigenständige Person, sondern nur ein lästiges Anhängsel ihrer Selbst. Bei der Erziehung ihres Kindes hat sie denselben Fehler gemacht, den sie ein Leben lang bei sich gemacht hat, ist sie doch weniger um seine psychischen Probleme besorgt, sondern mehr um den äußeren Eindruck, den ihr Sohn vermittelt (S. 115, "Das Stück, das ich in diesem Heim war, war geputzt und hergerichtet worden, der Schmutz, der ständig an mir niedertroff, war immer wieder abgewischt worden. [...] es wurde nur gerieben, gebürstet und poliert an mir, unermüdlich, so daß man den Schandfleck nicht sah."). Reduziert auf einen Gegenstand, der nur dazu beiträgt, ein perfektes Bild zu schaffen, wird der Sohn von der Mutter nicht weiter ernst genommen, geschweige denn seine Probleme. Er wird von ihr so stark vernachlässigt, daß er resigniert und versucht sich mit seinem Leben abzufinden (S. 47, "Ich mache es mir heimisch in dem großen Mangel [...]"). Der Autor macht dem Leser klar, daß jegliche Sorge, die eine Mutter normalerweise um ihr Kind hat, nur aus egoistischen Gründen heraus bei der Mutter auftreten kann (S. 56, "Ich leide schlaflose Nächte deinetwegen, ich bin verantwortlich für dich, wenn du nichts kannst, dann fällt das auf mich zurück,..."). Ebenso falsch ist dann wahrscheinlich die nach dem Tod der Tochter gesteigerte Sorge um das Wohlergehen des Sohnes, da sie eigentlich nur versucht, sich vor einer erneuten Erschütterung ihres Lebens zu schützen (vgl. S. 86). So ist es nicht weiter verwunderlich, daß es immer der Vater ist, der die wichtigen Gespräche mit dem Sohn über sein Leben und seine Ziele führt. Nach so viel Gleichgültigkeit und Ablehnung verliert sich der Sohn in seiner eigenen Traumwelt fern von jeglichem Druck der Eltern (S. 59, "eine andere Realität des Lebens als die, in die meine Eltern und Lehrer mich pressen wollten"). C  Es läßt sich wohl nicht bestreiten, daß die Mutter und ihr Verhalten die Hauptgründe für die seelischen Probleme des Sohnes gewesen sind. Die Mutterfigur ist aufgrund ihres widersprüchlichen Charakters schwer durchschaubar und fast nicht berechenbar. Ihr großer Hang zur Egozentrik hat es für sie unmöglich gemacht, ihren Kindern die nötige Aufmerksamkeit zu geben, die sie gebraucht hätten. Durch ihr konsequentes, dominantes Verhalten gegenüber ihrem Sohn ist es nicht weiter verwunderlich, daß er resignierte und schließlich eine Tendenz zu dem genauen Gegensatz der Mutter entwickelt hat, nämlich zum Autismus. Es scheint, daß ihr Vater einen ebenso großen Einfluß auf sie gehabt hat, wie der, den sie auf ihren Sohn ausübt, da alle Aktionen der Mutter scheinbar nach wie vor von der Erziehung ihres Vaters beeinflußt werden. In dieser Hinsicht ist sie wohl ein eher geschlossener Charakter, bringt sie sich doch selber dazu, das zu tun, was er für sie bestimmt hätte. Die Frustration, zu wissen, kontrolliert zu werden, zwingt sie, zu versuchen, eine innere Ausgeglichenheit durch eine stark einschränkende Erziehung ihres Sohnes zu erlangen. Es ist jedoch extrem schwierig, solch einen Charakter genau zu typisieren, ohne sich sehr ausführlich mit ihr, wie sie sich in dem Buch zeigt, auseinanderzusetzen. Doch um die Mutterfigur zuverlässig charakterisieren zu können, ist es erforderlich, sich in ihre Lage zu versetzen, was meiner Meinung nach fast unmöglich ist, sind die Handlungen des Buches doch zu abwegig und zu fern jeder Realität, wie man sie in der heutigen Welt finden würde. Ich glaube nicht, daß man, wie in einer Zeitung behauptet wird, durch das Lesen des Buches neue Perspektiven des eigenen Lebens kennenlernt, da man sich nicht mit den Personen der Erzählung, sowie den damit verbundenen Geschehnissen, identifizieren kann. --------------------------------------------------------------